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Text von Thomas ist gruen

Text von Katrin ist schwarz

Ort [Perryvale - Perryvale] Datum [21.06.06-23.06.06] Reisetag [45 - 47] Temp. [ca.24]
21. Verirrte Bienen und eine Zeitreise

Fuer Unterhaltung wird gesorgt. Den Garten beackern oder in den Blumenbeeten das Unkraut bekaempfen. Dann gibt es ja noch das Geschaeft mit den Bienen. Die Bienen werden auf den Feldern im gesamten Umkreis aufgestellt. So sind die Bienenstoecke, die wir bisher hier auf der Farm gesehen haben, nur ein winziger Bruchteil des Gesamtbestands. Insgesamt werden von der Familie mehrere tausend Bienenstoecke gehegt und gepflegt, die auf einer Flaeche von 400 qkm verteilt sind. Die Jahresernte liegt bei ca. 700.000 Pfund (1 engl. Pfund = 453g) und mit diesem Business sind 7 Personen vollauf beschaeftigt.

Zu den Aufgaben gehoert auch das Einsammeln von entlaufenen Bienenschwaermen. So passiert es ab und an, dass ein Schwarm sich teilt und die neuen Koenigin sich auf die Socken macht. Sie landet dann gerne unter irgendwelchen Hausdaechern. Die betroffenen Menschen sind dann in heller Aufregung und manch einer traut sich dann nicht mehr vor die Tuer. Der Notruf an die Bienenfarm beendet oft den gemuetlichen Abend und jemand muss raus den Schwarm einfangen.

Das sollten wir nun live miterleben. Mit Ron fuhren wir los, landeten irgendwo im nirgendwo auf dem Grundstueck eines Hobbyfarmers und standen mit grossen Augen vor einem Bienenschwarm, der unter der Dachecke eines Holzschuppens hing. Zum Glueck war es schon kurz vor Sonnenuntergang und die Bienen hatten sich schon alle zur Nachtruhe zusammengeballt. Wir fragten uns, wie Ron die Bienen nun einsammeln wollte.

Unter den Schwarm wurden zwei Bienenstockkisten bugsiert, in die der Schwarm umsiedeln sollte. Nur wie kriegt man den Schwarm da rein? Die Loesung ist verrueckt einfach. Verrueckt, weil kein normal sterblicher auf die Idee kaeme, ohne einen dicken Imkeranzug mit Sichtschutz einen kleinen Handspachtel zu nehmen, auf die Leiter zu steigen und dann die Bienen einfach abzukratzen, so dass der Schwarm in die darunter aufgestellte Kiste faellt. Wenn man Pech hat, faellt ein Teil der Bienen daneben und wenn man noch mehr Pech hat, faellt die Koenigin nicht in die Kiste, die ihre neue Heimat werden wird.

Wir (also Ron) hatte nur ein bisschen Pech. Ein Teil der Bienen fiel neben die Kiste. Unglaeubig sahen wir zu, wie waehrend des Abkratzens des Schwarms dutzende Bienen sich auf das Gesicht und Hemd von Ron stuerzten. Mit zugekniffenen Augen und Mund (er hatte eine Kippe im Mund, weil der Rauch die Bienen vertreibt) sprang er von der Leiter, schuettelte sich, um wenigstens einen Teil der Bienen loszuwerden und nuschelte irgendetwas von ist schon in Ordnung, sind nur drei Stiche. Dazu muss man wohl geboren sein. Ich selber habe zum Glueck nur einen Stich kassiert, als eine Biene in das Hosenbein meiner Jeans kletterte und sich natuerlich einklemmte. In der Aufregung stoch das Ding dann zu.

Wir warteten ca. eine Stunde, bis der Schwarm sich beruhigte, und nach und nach fanden fast alle Bienen den Weg in den neuen Stock. Dann noch einen Deckel drauf. Ron liess den Stock ueber Nacht stehen, damit am naechsten Tag der letzte Rest der versprengten Bienen den Weg in den Stock finden wuerde (Bienen koennen sich praktisch nur mit Hilfe der Sonne orientieren).

So war es inzwischen nach 23 Uhr geworden, der Himmel war noch immer dunkelrot. Ach ja, heute war Sommersonnenwende, der laengste Tag des Jahres. Komisch, wir werden dieses Jahr noch einmal den laengsten Tag des Jahres erleben. Auf der Suedhalbkugel muss das der 21 Dez sein. Das ist eben DieAndereZeit.

Wir freuten uns auf das Zuhause, aber ploetzlich bogen wir noch auf eine Farm ab. Ron erzaehlte irgendetwas von Cup of Coffee und wir schauten uns etwas erstaunt an. Es war schon nach 23 Uhr! Ploetzlich sassen wir bei einer Farmerfamilie in der Kueche und wurden mit Kaffee oder auf Wunsch mit Bier bewirtet. Die Menschen um uns herum gehoerten offensichtlich zur hart arbeitenden Bevoelkerung, die Haende voller Schwielen und wahrscheinlich nur Sonntags wirklich sauber geschruppt. Hier bekam unser bisheriger Job als Sesselpuper eine ganz neue Dimension. Die Maenner bequatschten irgendeinen Deal (mit Glueck bekam man die Haelfte davon mit), waehrend wir von der Farmersfrau sofort mit Beschlag belegt wurden. Uns wurde das Verwandschaftsverhaeltnis mit irgendjemanden in Berlin erlaeutert, dazu gab es ein Fotoalbum mit der gesamten (!) Familiengeschichte. Das ist sowieso, und das ist der Sohn des Bruders meines Mannes aus der ersten Ehe usw.... Aha!

Um 0:45 ging es dann wirklich nach Hause. Irma hatte sich schon Sorgen gemacht. Es kann ja immer etwas passieren, hier werden taeglich neue Stories von Leuten erzaehlt, die mal wieder einen Elch aufgegabelt haben... Aber so spaete Besuche scheint man hier ganz normal zu finden.

Nach soviel Abenteuer haben wir uns gleich einem faulen Tag hingegeben. Keine gravierenden Aktivitaeten, ausser im Garten rumwerkeln und einen Fahnenmast fuer die kanadische Fahne errichten. Am 1.Juli ist hier Feiertag, der sog. Kanadatag und da gehoert eine Fahne vor das Haus. Wir ueberlegten, wo wir eine deutsche Fahne herbekommen koennten, um unsere Fussball-WM ordentlich mitzufeiern. (wo das hier sowieso niemanden ausser uns interessiert, muessen wir ja mal ein Signal setzen!).

Unser Farmleben... Es ist wirklich interessant, wie hier die Leute mit uns umgehen. Jeder, den man trifft, fragt einen ausfuehrlich aus, woher wir kommen, wohin wir wollen und erzaehlt auch ganz viel von sich. Die sind alle sehr offen und interessiert, das sind wir so von Deutschland wirklich nicht gewohnt. Die Welt ist hier wirklich anders als bei uns. Ich habe das Gefuehl, dass man in Bezug auf das Miteinander hier 20 Jahre zurueckliegt (durchaus im positiven Sinne). Man hat hier keine DVD Player, sondern noch Video. Handys kommen so allmaehlich an, aber man nutzt mehr so eine Art Funkgeraet, das hier in der Weite auch besser arbeitet. Kaum einer der jungen Leute um uns herum hat einen Computer, von Internet ganz zu schweigen! Hier wird erst mal viel gearbeitet, viel gewandert, Freunde besucht, vielleicht Musik gemacht und im Winter Ski gelaufen. Und dann die Kirche besucht. Um uns herum sind alle sehr christlich. Die Kirche ist ein wichtiger Treffpunkt, was man versteht, wenn man sieht, wie entfernt alle von einander wohnen. Wir machen also froehlich mit in diesem Old Lifestyle, eine interessante Erfahrung.

Einem Ausflug zum Baptiste Lake, der kalt und algig war, folgte etwas ganz spezielles: wir machte eine Zeitreise! In der Naehe von Athabasca leben die Hutterites, das ist eine Glaubensgemeinschaft, die ihren Ursprung in Schwaben hatten, die dann ueber die Slowakei, Siebenbuergen und teilweise Russland bis nach den USA und dann nach Kanada vertrieben wurden. Da Irma dort eine Frau kennt, konnten wir die Kolonie (bestehend aus 57 Personen) besichtigen. Es war so was von unglaublich! Die Hutterites wohnen in doerflichen Gemeinschaften, in denen alles in der und fuer die Gruppe gemacht wird. Alle arbeiten ohne Bezahlung, bekommen das, was sie so brauchen (Kleidung, Moebel usw.) zugeteilt und essen alle gemeinsam in einem grossen Speisesaal.

Das Essen erfolgt streng getrennt nach Maenner, Frauen und Kindern, jeder sitzt am Tisch nach Alter sortiert. Eine grosse Glocke ruft zu den Mahlzeiten. Die Kleidung ist sehr altertuemlich und wird selbst genaeht, wobei keine Knoepfe oder gar Reissverschluesse verwendet werden. Die Frauen und (auch kleinen) Maedchen tragen lange, dunkle Kleider und Haeubchen, die Maenner baeuerliche Arbeitssachen. Die Kinder werden alle zusammen in der Gemeindeschule unterrichtet, welche sich im Keller unter der Kirche befindet.

Es gibt (natuerlich) keinen Fernseher und kein Radio, aber auch keine Zeitung! Selbst Spiegel sind verboten! Geheiratet wird immer jemand aus einer anderen Kolonie, praktisch gibt es kein Entrinnen. Bestimmt wird alles von einer Art Aeltestem und Frauen haben sowieso nichts zu sagen.

Ganz unglaublich war, dass die Leute dort eine Art bayrisches, altes Plattdeutsch sprechen, unter Verwendung wunderbarer, selten genutzter Woerter, z.b. -ich habe ein wenig gerastet- oder -droben ist es finster-… Bei Katie, einer 70-jaehrigen alten Jungfer, waren wir im Haus. Alles blitzte und blinkte. Sie fuehrte uns ihre Bibeln vor, welche in altdeutscher Schrift handgeschrieben waren! Davon liest sie abends -stets 10 Blatt-. Katie war sehr geschaeftstuechtig und wollte uns dringend ein paar ihrer Handarbeiten verkaufen -kostet nur 10 Taler!-. Sie hatte auch noch so eine putzige Stimme, zusammen mit ihrer Sprache war das wie nicht von dieser Welt. Bei der Verkostung ihres Kuchens sass ich dann auch noch an der Tischseite des Gebetsverantwortlichen und musste (durfte?) dann das Tischgebet vorlesen, welches (natuerlich auch in alter deutscher Schrift) auf dem Tisch angeklebt war.

Katie hat uns stolz in der Kolonie herumgefuehrt, alles war dermassen gut in Schuss, hier wohnte noch die wahre deutsche Ordnung und Gruendlichkeit. Die Kolonie besitzt einen grossen Pool an landwirtschaftlichen Geraeten (diese sind ganz modern) und riesige Laendereien, die Kolonie hat Geld wie Heu (kein Wunder, wenn die Bewohner selbst kaum etwas verwenden). Wir haetten am liebsten alles durchfotografiert, aber das ging leider nicht. Es war jedenfalls sehr faszinierend.

Zum Abend bekamen wir dann noch eine kurze Einfuehrung in das Leben der Biber. Einer der Soehne von Irma fuehrte uns ueber Stock und Stein (er nannte das Nature Trail) zu dem Bach, der hier durch das Tal meandert. Hier stauen die Biber den Bach an verschiedenen Stellen zu ihrem Gefallen auf. Wir hatten Glueck und fanden sehr schnell heraus, warum hier niemand ein Gewese um die Sichtung eines Bibers machte. Wir sichteten vier Biber, die im Bach unterwegs waren. Als Naturgreenhorns freuten wir uns und brachten mit unserem Eifer die alten Kanadier insgeheim zum Schmunzeln. Die einstuendige Wanderung beendeten wir dann gluecklich auf dem heimischen Sofa. Was fuer ein Tag.

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