Text von Thomas ist gruen
Text von Katrin ist schwarz
Verdammt, jetzt haben wir aber lange kein Tagebuch geschrieben! Das schlimme ist ja, je mehr es wird, um so mehr neigt man dazu, es vor sich her zu schieben. Allerdings ist eindeutig Tom an der Luecke schuld, denn er hat diesmal als harter Antreiber jaemmerlich versagt (ohne Druck schreibe ich naemlich nicht). Ja, was ist also vor einer Woche losgewesen? OK, starten wir am Montag:
Dies sollte unser Abschiedstag von Christchurch werden, denn die Berge riefen (besonders Tom, ich haette ja noch ewig bei den Scotts-von-Tippelskirchs abhaengen koennen (der komische Familienname entsteht, wenn sich Schotten und Deutsche mischen)). Allerdings regnete es gleich am Morgen und so entschieden wir uns zur allgemeinen Begeisterung, dass wir noch bis Mittwoch bleiben wuerden. Ganz heimlich hat naemlich auch der Tom sich in der Familie sehr wohl gefuehlt, und daher kam dann auch der Vorschlag, noch zu verlaengern, von ihm. Vormittags hatte ich meine letzte Gesangsstunde, bei der ich es lernte herauszuhoeren, wenn ein Duo nicht genau den gleichen Ton trifft, das gibt dann so ein ekliges Stoervibrieren. Das bloede ist nur, dass ich das jetzt andauernd hoere, sogar, wenn ich (dann offensichtlich falsch) bei einem Radiosong mittraellere. Ganz toll... Bepackt mit diversen CDs mit Uebungen, damit ich nicht gleich wieder bei Null lande, verabschiedete ich mich von Lisa. Aber wer weiss, vielleicht sehen wir uns ja irgendwann mal wieder (auf den Buehnen dieser Welt)…
Auch wenn es unglaublich klingt, ist es doch wahr - ich finde Katrins Gesangskarriere sehr beeindruckend und es macht mir grosse Freude zu sehen, wieviel Spass sie beim Singen hat. Mal sehen, ob sich meine Einstellung nach dem 20. Anhoeren ihrer Uebungs - CD noch aendern wird. Im tiefsten Inneren bin ich ja ein sehr ausgeglichener Mensch mit einem dicken Fell, und die letzten Monate waren wunderbar geeignet, diese innere Balance wiederherzustellen. So ist das Fell also gut fuer die naechsten Etueden von Katrin geruestet. Ja, und wie von Katrin erwaehnt, war ich gar nicht ungluecklich, unseren Aufenthalt bei unserer Familie zu verlaengern. Es war schoen, wie wir in dieser kurzen Zeit ein Bestandteil ihrer Welt geworden waren und mit welcher Selbstverstaendlichkeit wir uns hier einfuegten. Wir fuehlten uns wirklich willkommen - da faellt das Scheiden um so schwerer! Auf der anderen Seite machte sich in mir doch eine Unruhe breit. Die Berge und ganz besonders Mt. Cook zerrten an meinen Fuessen.
Nach dem Singen widmeten wir uns uebergangslos unserem anderen Hobby und gingen schwimmen (das Sundschwimmen 2007 rueckt naeher... kleiner, dummer Scherz). Am Nachmittag fuhr ich mit Helen die Kinder abholen und besichtigte in diesem Zusammenhang gleich mal eine Waldorfschule. Besonders auffaellig fand ich allerdings den hohen Altersdurchschnitt der Eltern. Um meine Kiwi-Familienstudie komplett zu machen, fuhr ich auch noch mit zur Klavierstunde, dabei bin ich dann allerdings unauffaellig eingeschlafen, denn es war nicht wirklich spannend.
Der Dienstag begann mit einer erneuten Autopanne, Helens Wagen sprang mal wieder nicht an. Gott sei Dank waren wir noch da, um zu helfen. Tom fuhr erst mal schnell die Kinder zur Schule und kuemmerte sich dann mit Helen um die Reparatur.
Die Batterie hatte also wieder ihren Geist aufgegeben, immerhin war damit die Sache fast klar - das musste wohl der Laderegler sein. Nachdem die Batterie fuer eine Stunde geladen war, fuhr ich hinter Helen her zur Werkstatt. Sie fuehlte sich dadurch sicherer und hatte gleich noch eine Mitfahrgelegenheit fuer die Rueckfahrt. Am Nachmittag rief dann die Werkstatt an - der Laderegler war defekt (sag ich doch) und der Austausch kostete 300 NZD. Helen war trotz defektem Auto happy. Endlich war die Fehlerursache gefunden, und in Zukunft wuerde man sich wieder auf das Auto verlassen koennen. Mehrfach feierten wir das Glueck, das wir noch einen Tag laenger geblieben waren und ihr so tatkraeftig aus ihren Autotroubles heraushelfen konnten. Das war wohl Fuegung. Wir waren wirklich Helens Pannenhelfer, die gelben Engel in persona. Am Tage unserer Ankunft haben wir sie gerettet und am letzten Tag dann noch einmal. Und nachdem wir nun sicher sein koennen, dass dieser Erdenmensch seine Autoprobleme ueberwunden hat, koennen wir Engel weiterziehen zu einer neuen Mission. (Sagen wir mal so: Ich bin eher der mitreisende Engel, Thomas macht die Arbeit.)
Nach der Rettung zogen wir ins Stadtzentrum los. Meine neue, gekuerzte Jeans wurde abgeholt (Scheiss kurze Beine, sehen nicht nur doof aus, sondern kosten auch noch extra), im Internetcafe wurden Mails gecheckt (keiner hat mir geschrieben!!! Das hat mit superdeutlich gemacht, dass ich ueberall mit dem Antworten dran bin, peinlich.). Wir nahmen ein Abschiedsmittagessen bei unserem Lieblings- Dim Sum Stand ein (kleine, leckere chinesische Haeppchen, dort waren wir ziemlich oft). Anschliessend versorgten wir uns mit Partyausruestung: Bonbons, Brause und Chips, denn am Abend war Halloween! Die Maedels wollten urspruenglich eine Runde um die Haeuser ziehen, aber uns zu Ehren blieben sie lieber zu Hause, denn sie wollten lieber mit uns feiern und sie luden sogar noch eine Freundin ein. Ein Highlight unserer wilden Party war meine CD mit deutschen Schlagern. Helen verliebte sich auf Anhieb in die wunderbare „Heidi”. Als bayrische Maidn ausgestattet, empfingen wir den armen Manfred, als er geschafft nach Hause kam, und fuehrten einen Jodeltanz auf. Da ist er nun vor solchen germanischen Schockern um die halbe Welt geflohen, und sie verfolgen ihn bis nach Neuseeland! Ja, so eine Heidi laesst sich nicht so schnell unterkriegen! Das ganze war eigentlich extrem furchtbar und im Inneren bewunderte ich Manfred fuer seine Gelassenheit - vermutlich war er wirklich sehr muede oder er erkannte blitzschnell, dass hier eh Hopfen und Malz verloren waren.
Nach viel Herumtoben und Gesang mussten die Schulkinder irgendwann leider ins Bett. Wir setzten die Party in heiterer Frauenrunde mit Helen, ihrer Schwester Ellie und einer Freundin fort. Helen und Ellie koennen beide Gitarre spielen, und wir sangen uns durch ein herrliches Gesangsbuch mit all den alten Hits. Das ganze endete damit, dass nur Helen und ich uebrig waren, uns bis nachts um zwei gegenseitig unsere Lieblings-CDs vorspielten und uns noch ganz schnell alles erzaehlten, was unbedingt noch mitgeteilt werden musste. Irgendwann gaben wir dann muede auf und waren beide sehr traurig, dass wir uns nun trennen muessen. Helen waere eine gute Freundin auch fuer die Naehe. Wir haben uns aber fest vorgenommen, mal zusammen bei einem der Gospelworkshops teilzunehmen, die Tony Backhouse gelegentlich in den USA durchfuehrt. Ausserdem ist Helen und ihre Familie ab und zu in Deutschland, dann wollen wir uns unbedingt treffen.
Am Mittwoch brachten wir die Kinder ein letztes Mal zur Schule. Allen Versuchen, uns zum Bleiben zu ueberreden, widerstanden wir tapfer. Ploetzlich war das Wetter, das die Tage vorher immer so verteidigt wurde, fuer die Kinder die grosse Ueberzeugungshilfe: „Es ist so ein Mist Wetter draussen, was wollt ihr denn da wegfahren!” Dann trennten wir uns auch von Helen und waren erst mal ein bisschen geknickt. Waehrenddessen bin ich dann allerdings irgendwann eingeschlafen. Auf dem Weg zum Mount Cook machten wir einen Abstecher zu einem von Baumfanatiker Manfred empfohlenen Wald, sehr schoen auch im Halbschlaf…
Die Fahrt zu unserem Tagesziel fuehrte durch eine sehr trockene, eher unspektakulaere Landschaft. Als dann allerdings der Berg ins Sichtfeld kam, aenderte sich alles. Der Mount Cook ist mit 3.753 m der hoechste Berg Neuseelands und wohnt in einem Halbkreis von Zwei- bis Dreitausendern. Der Ort am Berg besteht im wesentlichen aus einem in staatlichem Besitz befindlichen, superteuren Hotelkomplex (die sog. Hermitage), einer Jugendherberge und einem zu unserem grossen Glueck nagelneu eroeffneten Backpackerhotel, welches gleich mal den ueblichen Backpackerpreis verdoppelt hatte (156 NZD). Dafuer war es aber auch extra schoen: Die Zimmer waren nichts besonderes, aber es gab eine Lounge mit Kueche und vor allem einer herrlichen Sofaecke vor einem riesigen Fenster mit Blick auf die Berge. Wir hatten auch einen der seltenen Tage erwischt, an denen der Berg nicht von Wolken verhuellt war, so dass wir uns erst einmal festguckten.
Wir konnten es kaum fassen. In Christchurch herrschte wirklich aetzendes Wetter und nun die Berge hier im strahlenden Sonnenschein. Ich war begeistert, und haetten wir nicht so eine lange Fahrt hinter uns gehabt, waeren wir wohl gleich losgestuerzt auf eine kleine Runde. Ich mag die Gegend um Mt. Cook seeehr. Fuer mich ist das hier eine der schoensten Bergregionen der Welt (zumindest von dem Teil, den ich davon kenne). Ueberall haengen hier die Gletscher von den sehr steilen Berghaengen. Alle Nase lang bricht irgendwo ein riesiges Stueck Eis aus den Bergwaenden, und mit lautem Donnergrollen saust eine kleine oder groessere Lawine gen Tal. Das ganze Gebiet des Mt. Cook Nationalparks ist bei Alpinisten sehr beliebt, weil es sehr anspruchsvolle Touren fuer Bergsteiger liefert. Allerdings hat die Gegend auch schon viele menschliche Tragoedien erlebt. Insgesamt haben hier schon ueber 240 Menschen ihr Leben gelassen. Eine sehr beruhigende Information fuer mich, die ja wusste, dass die Bergziege Tom wieder allein auf Tour los wollte. Es verunglueckten auch gerne mal erfahrene Bergfuehrer, die ihren Job seit Jahrzehnten machten und dann mit Kunden zusammen am Seil von der Lawine erfasst wurden.
Weil es dort eh sauteuer war, entschieden wir uns ganz spontan zu einem teuren Abendessen. Wir kaempften uns durch ein superleckeres Buffet in dem oertlichen Luxushotel, auch dieses Restaurant hatte Panoramablick. Wir finden es immer sehr lustig, zwischen sehr einfach und abgehoben hin und her zu springen. Wir koennen sehr gut mit beidem leben und finden gerade die Abwechslung besonders spannend.
Donnerstag frueh - nun hielt mich nichts mehr. Lustigerweise war es Katrin, die mich um 6:00 weckte. Von unserem Bett aus konnten wir das „Ergluehen” von Mt. Cook beobachten. Die Berge waren wieder von keiner Wolke umgeben - was hatten wir fuer ein Glueck! In der Lounge bewunderten wir den Sonnenaufgang und ich schoss ein paar Fotos. Der Schnee auf dem Berg wurde kurz glutrot, um sich dann in den Gletscherbereichen in ein tiefes Blaugruen zu verwandeln.
Die Beine begannen unruhig zu werden, und nach einem Kaffee begannen sie, wie von Geisterhand mit mir zu dem Red Tarn Wanderweg zu gehen. Hier geht es ca. 600 Hoehenmeter hoch (steil), und von der Hochwiese aus hat man einen wunderbaren Ausblick ueber die Gletschertaeler und Mt. Cook. Ich war etwas erstaunt, wusste ich zwar noch, dass der Weg hier hinauf steil war, aber so doll hatte ich ihn dann doch nicht mehr in Erinnerung. Wahrscheinlich nimmt die Steigung aber mit jedem Lebensjahr ein bisschen zu. Fuer Katrin waere dieser Weg jedenfalls bestimmt kein Spass gewesen - die schmiss ich dann lieber puenktlich zum Fruehstueck aus dem Bett. Der Tag hatte also fuer alle Beteiligten schon mal gut begonnen. Es war echt unglaublich: waehrend ich noch seelenruhig schlummerte, ist der Tom schnell mal vor dem Fruehstueck auf den sehr beeindruckenden Felsen (mal eben 600 Meter rauf) hinter unserem Haus gestiegen! So ein verrueckter Hund!
Ich kam auch noch zum Wandern, denn heute war gemeinsamer Wandertag. Das Hookervalley ist naemlich wie fuer mich geschaffen: nur gelegentliche Anstiege, dafuer aber ein abwechslungsreiches Panorama, das von den Strapazen der Bewegung ablenkt. Nein, das ist natuerlich Quatsch, diese Wanderung hat mir tatsaechlich ueberraschend gut gefallen. Schwierig war nur die daemliche Kombination meiner nagelneuen Jeans mit einem leicht fettigen Fruehstueck, welches nun nicht mehr runterrutschen konnte, weil die Hose (noch) so knalleng war. Nach mehreren Stunden wurde es dann besser... Unsere Wanderung zeigte uns eine rauhe Bergwelt, Haengebruecken fuehrten ueber sprudelnde Fluesse und am Ende des Weges gelangte man zum Hooker Gletschersee, in dem grosse Eisbrocken schwammen, die von den Gletschern abgebrochen waren. Eine surreale Welt. Trotz eisigen Windes und der zwar spannenden, aber unwirtlichen Umgebung widmeten wir uns mal wieder unserem Lieblingsspiel. Wir bauten einen Staudamm im eiskalten Gletscherfluss und drueckten mit der Flussumleitung der Natur unseren Stempel auf (die wird sich gewiss nicht lange drum scheren und bald unsere Steine wegdruecken).
Leider zeigte das Wetter schon wieder, wie schnell sich gerade hier alles aendern kann. Gerade noch in der Sonne gelaufen, und schon zogen sich im Tal die Wolken zusammen, und es wurde empfindlich kalt. Ein paar Regentropfen bekamen wir auch noch ab. Trotzdem hatten wir Glueck und kamen trockenen Fusses zurueck. Das Wetter hat hier eh schon manchem das Genick gebrochen. Selbst, wenn man bei eitlem Sonnenschein eine der gefuehrten Wanderungen ueber den Copland Pass an die nur ca. 50 km entfernte Westkueste macht, kann man sich ganz schnell in heftigen Schneestuermen wiederfinden, und dann ist Schluss mit lustig.
Abends gab es ein kulinarisches Kontrastprogramm zum Vortag mit Spaghetti und Fertigpesto, welches schlechter schmeckte, als es aussah. Es wurde nicht besser durch ein paar Japaner, die am Nachbartisch ihre Nudelsuppe mit wahrscheinlich sehr authentischem Superlaut-Schluerfen verzehrten, wovon besonders Tom fast der Appetit verging Am liebsten haette ich ihnen ihre Schluesselchen geklaut oder haette mir ganz laut die Nase geputzt - das vertragen die Japaner naemlich nicht. Chinaerprobt wie ich bin, nahm ich's gelassen.