Text von Thomas ist gruen
Text von Katrin ist schwarz
Samstag, und die Stimmung war leicht eingetruebt. Bewi und Sandra mussten sich heute aus dem Staub machen. Wir brachten die beiden mit unserem Reiseauto zum 40 km entfernten Flughafen, an dem wir uns dann mit kleinen Traenen in den Augen voneinander verabschiedeten. Wir hatten eine schoene Zeit miteinander, da faellt die Trennung dann nicht gar so leicht. Andererseits freute sich ein kleiner Teil in mir auch ueber die wieder gewonnene Reisefreiheit, an die wir uns in den vergangenen Monaten so doll gewoehnt hatten. In den letzten zwei Wochen war mir der Unterschied zwischen einer Kompaktreise nach dem Motto „in zwei Wochen moeglichst viel erleben” und unserem normalen „wir lassen uns treiben” Tempo doch sehr bewusst geworden. Das ist eben einer der Riesenjoker in dem schier unendlich erscheinenden Zeitkontingent, das einem ein Reisejahr gibt.
So erholten wir uns von der Hitze und dem Aktivismus der letzten Tage gleich durch Abhaengen am Pool in unserem Guesthouse. Auch so geht ein Tag seinen Gang, und der abendliche Spaziergang zu einem Inder war das einzige wesentliche Ereignis dieses Tages. Bei dem Inder hat es uebrigens ueberraschend gut geschmeckt, und nach all den fleischlastigen Buffets der letzten Tage waren wir beide sehr froh, mal wieder a la carte schoen scharf zu essen.
Am Sonntag hatte ich die Idee, dass wir ja mal in einen echten einheimischen Gottesdienst gehen koennten, um vielleicht ein paar schoene afrikanische Gospelgesaenge zu hoeren, das waere doch mal die Umsetzung meiner Workshops ins echte Leben! Gleich um die Ecke sollte eine Kirche sein. War sie aber nicht. Gelegentlich lief jemand mit einer Bibel unterm Arm an uns vorbei, unsere Verfolgung brachte uns aber nur bis zu einem Lebensmittelladen. Wir erspaehten eine Kirche irgendwo am Horizont und hoerten auch Glocken laeuten, aber am Ende hatten wir eine Riesenrunde durch das sonntagsvormittaegliche, schlafende Windhuk gedreht, waren von der bereits heftigen Hitze fix und fertig, hatten zwei Kirchen und eine Moschee gefunden, und nirgendwo waren Leute drin. Sehr erfolgreiche Aktion…
Diese Morgenwanderung war so gigantisch toll, dass wir das Erlebte erst einmal ein paar Stunden sacken lassen mussten… Andersgesagt: wir taten nichts weiter. Wir kannten naemlich Windhuk am Sonntag bereits, da ist nichts, aber auch gar nichts los. Keine Ahnung, wo die Leute alle sind, auf der Strasse jedenfalls ist niemand, und sogar die Restaurants sind fast alle geschlossen. Bisschen Computer, bisschen lesen, so geht der Sonntag auch rum. Abends assen wir um die Ecke in einem Ausbildungslokal fuer Chefkoeche, sehr lecker und mit viel Muehe angerichtet. Waehrend wir den harten Tag Revue passieren liessen, begann es doch tatsaechlich leicht zu regnen! Es schien sie also doch zu geben, die Regenzeit! Aber doll war es nicht, und vor allem brachte es keine Abkuehlung, sondern haengte nur eine feucht-heisse Dunstglocke ueber die Stadt.
Am Montag nun ging nahmen wir unsere Reisetaetigkeit wieder auf. Zunaechst mussten wir jedoch unseren Autoverleiher daran erinnern, dass er uns abholen wollte, aber fuer die fast einstuendige Verspaetung erhielten wir nur ein lahmes „Ich hatte zu tun!” als Begruessung, naja. Bei Alamo in Windhuk haben sie wahrscheinlich nach dem Kriterium eingestellt „Wer hat am wenigsten Lust?”. Vielleicht haben es die Toechter und Soehne der weissen Siedler hier auch nicht wirklich noetig. Unser neuer Leihwagen war wieder der bereits in Suedafrika angetestete Golf, groessenmaessig war er fuer unser Gepaeck ja ausreichend, allerdings hatte ich ein wenig Bedenken wegen der gerionge Hoehe des Unterbodens ueber der oft doch recht huckeligen Strasse, aber ein bisschen Abenteuer muss ja auch sein.
Heute war die Strasse allerdings ideal, wir hatten 500 km Asphaltstrecke vor uns. Das Fahren auf der Landstrasse ist supereasy, es gibt kaum Verkehr, kaum Kurven, man faehrt praktisch konstant die erlaubten 120 km/h. Wir durchfuhren die westlichen Auslaeufer der Kalahari-Wueste, entsprechend trost- und endlos war die Landschaft. In Rehoboth kauften wir etwas zu trinken, dieser Ort ist sehr seltsam, denn dort leben lauter hellbraune Mischlinge, die aus der Verbandelung burischer Siedler mit den hiesigen Namafrauen entstanden, eine wirklich spezielle Hautfarbe im ansonsten sehr dunkelhaeutigen Namibia. Kurz bevor ich wieder im Auto sass, jagte urploetzlich eine heftige Windhose ueber mich hinweg, welche mich in eine gigantische Staubwolke huellte, unser Auto innen voellig einstaeubte, noch schnell den Sonnenschirm der Tankstelle zerbrach und genauso ploetzlich wieder verschwunden war.
Die naechsten Stunden sassen wir im Auto, die Landschaft war sehr eintoenig, und wir liessen uns von dem unbeschreiblich seltsamen deutschen Radio aus Windhuk berieseln. Die Moderatoren waren voellig durcheinander, andauernd klappte etwas nicht, oder sie hatten etwas vergessen oder was auch immer. Zwischen den trivialen Redebeitraegen wurde schoenste deutsche Schlagermusik gedudelt. Ich kam mir vor wie in den 70er Jahren, als hoerte ich Radio DDR 1 oder so. Nur die ausfuehrlichen Anzeigenteile waren neu, so nach dem Motto „Frau Inge Wiegandt sucht eine zuverlaessige Aufwartefrau…”. Das Radioprogramm war so schlecht, dass es schon wieder gut war, und sogar Tom hielt es tapfer aus, wahrscheinlich kamen auch bei ihm (heimlich) Kindheitserinnerungen auf.
Unser Tagesziel Keetmanshoop ist das urbane Zentrum von Suednamibia und vor allem ein Durchgangsort fuer Fahrten nach Suedafrika. Die Stadt war natuerlich trotzdem sehr uebersichtlich, allerdings waren eine Menge Leute in den Strassen unterwegs. Wir fanden ein sehr guenstiges Hotel mitten im Zentrum, wo wir fuer 400 NS ein „Spa”-Zimmer buchten, allerdings war der Spa-Anteil (die Badewanne mit Whirlpool) gerade jenseits unserer Beduerfnisse, denn uns war nur heiss, und somit bevorzugten wir den Hotelpool. Als ich im „SPAR” an der Ecke noch kurz einkaufen ging, passierte mir etwas seltsames. Ich haette am liebsten jeden Weissen, der mir entgegenkam, gegruesst! Es waren nicht viele, aber immerhin waren doch mehr Weisse unterwegs, als ich dachte, und auch sie schauten mich sehr interessiert an. So in der Unterzahl zu sein, scheint zu verbinden! Ich fragte mich, ob das ein Ansatz eines „kolonialen” Gefuehls war.
Kurz vor dem Abendessen begann ein Gewitter, der Donner war echt beeindruckend! Offensichtlich beeindruckt war auch die Stromanlage, denn sie brach erst einmal zusammen. Also hatten wir ein unerwartetes Candlelight-Dinner, aber immerhin konnte die Kueche auch ohne Strom kochen. Ich ass ein typisch afrikanisches Ziegenragout und fuehlte mich den vielen Ziegenhirten, die wir unterwegs gesehen hatten, sehr verbunden.
Nach dem unerwarteten Regen, der sogar in der Nacht noch sporadisch fiel, machten wir uns am Dienstag auf zum etwa 150 km entfernten Fish River Canyon. Nach 50 km mussten wir die Asphaltstrasse verlassen, doch die Piste war in einem so gutem Zutand, dass wir auch mit dem Golf gut voran kamen. Nur ein kleines Detail begann uns Kopfzerbrechen zu bereiten. Der Regen des Vortages war tatsaechlich so ergiebig, dass einige der ausgetrockneten Bachbette Wasser fuehrten oder zumindest Schlammsenken auf der Piste entstanden waren… Da half nur Anlauf nehmen und bloss nicht nachdenken und zoegern. Das funktionierte ganz gut, nur das schoene weisse Auto bekam langsam eine braune Patina. Mir waren diese Strassenueberflutungen ja sehr suspekt, man musste in etwas hineinfahren, dessen Tiefe man nicht absehen konnnte… Nach einer entsprechend zoegerlichen Durchquerung der ersten Senke gab ich gern an Tom ab, der sich wie bei der Paris-Dakar-Ralley fuehlte.
Lustig war dann die Begegnung mit einem Reisebus, unguenstigerweise genau in solch einem Schlammloch. Ehe wir noch richtig reagieren konnten, flog eine riesige Ladung hochgeschleuderten Schlamms auf unsere Windschutzscheibe. Der Moder fand sogar den Weg durch das offene Beifahrerfenster und spritzte uns beide voll! Was fuer eine Sauerei! Sehen konnten wir nichts mehr, der Bus machte sich natuerlich aus dem Staub, und um meine Fuesse herum zischte es ploetzlich wie wild. Was war nun kaputt gegangen? War die Heizung geplatzt? Gluecklicherweise war es nur die Colaflasche, die ein Loch bekommen hatte (warum auch immer) und sich nun im feinen Strahl in den Fussraum ergoss. Insgesamt also Volltreffer Mitschiffs. Das unglaublichste an dieser Situation war, dass der Bus das zweite Fahrzeug war, dass uns auf 150 km entgegen kam, und er muss natuerlich genau in dem Moment an uns vorbeifahren, wenn wir durch ein Schlammloch fahren. Das nennt man doch Murphys Gesetz, oder?
Wir schaufelten die Scheiben frei, den Rest schaffte der Scheibenwischer. Die weiteren Kilometer bis zum Canyon Roadhouse liefen wir ohne Probleme, nur an einer Stelle stand noch Wasser auf der Piste, und der Weg war mit einer richtig hohen Stufe ausgespuelt. Mit der noetigen Vorsicht kamen wir aber gut durch. Uns beiden ging nur durch den Kopf, dass bei richtigem Regen auf solchen Pisten offensichtlich sofort Feierabend ist. Mit einem normalen Fahrzeug wuerde man wohl nach den ersten paar Kilometern stecken bleiben, ganz abgesehen davon, dass man wie auf Glatteis faehrt. Spaeter in unserer Unterkunft sahen wir Bilder von echtem Regen in dieser Gegend und auch Fotos von Kleinwagen, die bis ueber die Motorhaube im Schlamm versunken waren…
Am Vormittag kammen wir im Canyon Roadhouse an, und die Temperaturen waren schon wieder locker ueber 30° gestiegen. Katrin fuehlte sich an diesem kargen Ort, dessen Garten vor allem aus diversen Kakteen bestand, ins tiefste Mexiko versetzt. Nur die Schwarzen hatten keine Sombreros auf. Auf die Schnelle wurde uns bei der Entschlammung des Autos geholfen. Weiter ging es zum Fish River Canyon, dem eigentlichen Tagesziel. Bis zum Eingang des Nationalparks waren es nur noch 20 km. Hier mussten wir unseren Eintritt entrichten, und weitere 15 km durch die vollkommen ausgedoerrte Landschaft brachten uns dann zu dem Aussichtspunkt ueber den Fish River Canyon. Wir waren sehr froh, dass es ein paar Schattenplaetze gab, denn die Sonne brannte erbarmungslos, der Fahrtwind hatte schon wieder eine Temperatur von 40 °.
Der Fish River Canyon - muss man unbedingt hierher? Bei fast 40° faellt die Entscheidung nicht ganz leicht, die Sinne sind benebelt und das Hirn mit dem Gedanken an einen kuehlenden Swimmingpool blockiert. Fakt ist, das man hier vor dem zweitgroessten Canyon der Welt steht. Auf einer Laenge von ca. 160 km hat sich der Fish River hier bis zu 500 m tief in das Gestein terassenfoermig hineingefraest und meandert durch diese unwirkliche Umgebung. Dieser Canyon muss keinen Vergleich mit dem Grand Canyon in den USA scheuen, und wenn man Fotos von den beiden nebeneinder legt, ist es schwer, den einen oder anderen eindeutig zu identifizieren. Ein Naturwunder also und auf jeden Fall bei weitem nicht so touristisch ausgeschlachtet wie der grosse Bruder in den USA.
Wer will, kann hier in der „kalten” Jahreszeit von Mai bis September eine insgesamt 80 km lange Wanderung durch den Canyon machen. Dafuer braucht man abhaengig von Kondition (die man per aerztlichem Attest belegen muss) und Lust vier bis fuenf Tage. In den uebrigen Monaten ist diese Tour streng verboten, nicht einmal einfache Tagesabstiege in den Canyon sind erlaubt. Hier wurden in den letzten Jahren schon diverse uebereifrige Wanderer mit akutem Kreislaufversagen und Sonnenstich herausgerettet, allerdings hat es auch schon ein paar Todesfaelle gegeben. Der Ab- und Abstieg ist nicht einmal sonderlich steil oder kompliziert, doch gerade hierin liegt wohl die Tuecke, denn abwaertsgehend nimmt man den Weg in den Glutofen am Grund des Canyons noch gelassen hin. Beim Aufstieg bei weit ueber 40° geht es dann aber schnell ans Eingemachte.
Was soll ich nun sagen? In meinen Beinen kribbelte es schon wieder, der Reiz des Verbotenen kam natuerlich auch dazu, doch die Vernunft und die fortgeschrittene Tageszeit und natuerlich die sicherlich berechtigten Sorgen von Katrin hielten mich von einem weiteren „Egotrip” ab. Man wird halt aelter und verkauft das dann als Vernunft… Dieser verrueckte Kerl, ich wusste bereits, als ich den Reisefuehrer las, dass es ihm wieder in den Bergsteigerbeinen kribbeln wuerde, und hatte aus diesem Grund schon mal prophylaktisch meinen Protest angemeldet. Und ich hatte natuerlich Recht: da stand Herr Tom am Rand des Canyons und ich konnte es praktisch sehen, wie es in ihm brodelte. Ich glaube, mein Glueck war nur, dass es bei fast 40° im Schatten dann selbst dem Wandertom zu heftig wurde, so dass ich ganz tolerant dreinschauen konnte, waehrend er es sich selbst ausredete.
Auf dem Rueckweg bogen wir zu einer weiteren Lodge ab, die sich hier im Nirgendwo mit den Beherbergen von Leuten scheinbar ganz gut ueber Wasser haelt. Das ganze wirkte wie eine Oase, und bei einem Salat im Schatten konnte man die Hitze fast vergessen. Den Pool durften wir auch benutzen, und so fluechteten wir schnell dorthin. Waehrend des Nachmittagsschlaefchens zogen sich die paar Wolken am Himmel immer weiter zusammen, und am Horizont konnte man tatsaechlich die ersten Blitze sehen. Sollten wir doch noch ein Unwetter in der Wueste erleben? Der Wind frischte stark auf, und mit dem Auto retteten wir uns lieber schnell zurueck zu unserer (mexikanischen) Roadhouse Lodge.
Der erwartete Regen blieb dann bis auf ein paar Tropfen aus, die scheinbar auch verdunsteten, bevor sie den Boden richtig beruehrten. Der Kellner erzaehlte uns mit sehnsuechtigem Blick in den Himmel, dass der letzte Regen hier im Juni fiel. Waehrend er also auf den nicht kommenwollenden Regen wartete, hofften wir heimlich auf eine Abkuehlung. Das Thermometer zeigte aber weiter stur 35° im Restaurant, und richtiger Wind fuer ein bisschen Durchzug kam auch nicht auf. So sass mir beim Abendessen eine schweissgebadete Katrin gegenueber. In unserem Zimmer lief immerhin ein Ventilator. Leider schaffte auch dieser nur die warme Luft herumzuruehren - so war die Nacht einfach nur heiss. Ich glaube, das war meine bisher heisseste Nacht in Afrika. Schon beim Abendessen bin ich bald abgekippt, Tom beobachtete mich permanent wie eine nicht mehr ganz Zurechnungsfaehige (was mich natuerlich nervte!), aber ich war zu schwach fuer Proteste. In der Nacht stand der Ventilator auf Toms Seite, und waehrend ich mein Kissen vollschwitzte, versuchte ich in den vielen Wachphasen, Tom zum Seitentausch zu ueberreden, allerdings befanden wir uns dabei beide im Halbschlaf und entsprechend erfolglos waren meine Ansaetze. Als ich Tom am naechsten Morgen davon erzaehlte, lachte er und meinte, das taete ihm leid, aber er hat davon eigentlich gar nichts mitbekommen. Wir traeumten schon von dem angeblich viel kuehleren Ort Luederitz am Meer, zu dem wir nun aufbrechen wollten.