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Text von Thomas ist gruen

Text von Katrin ist schwarz

Ort [Fish River Canyon - Keetmanshoop] Datum [24.01.07-27.01.07] Reisetag [262 - 265] Temp. [ca.27]
81. Lost world - Luederitz

Mittwoch, wir flohen aus der der Hitze in Richtung Meer. Bereits um 6:30 Uhr sassen wir im Auto und waren gespannt auf den Zustand der ersten 100 km Piste. Zum Glueck war das Stueck harmlos, denn obwohl von den Einheimischen sehnlichst erwartet, war wohl kein weiterer Regen gefallen. Entlang einer Bahnlinie ging es die insgesamt 400 km bis nach Luederitz, den Ort, in dem die deutsche Kolonialisierung von Namibia ihren Ausgang nahm.

Bei der Fahrt durch die Steppenwueste konnte man sich wieder einmal stundelang fragen, was die Deutschen, was ueberhaupt irgendwelche Menschen in dieser Gegend zu suchen haben. Wieder unendliche Weite, Tafelberge, zwischendurch gelbes Steppengras, das ganze bis zum Horizont in zwei Haelften geteilt durch die schnurgerade Bahnlinie neben der schnurgeraden Strasse neben der schnurgeraden Stromleitung. Dann ein paar Duenen und die ernst gemeinten Hinweise, dass man sich im Sperrgebiet „Diamond Area 1” befindet und man auf KEINEN FALL die Strasse verlassen darf. Am Horizont tauchte eine Dunstschicht auf, darunter ploetzlich, vom grauen Felsboden kaum zu unterscheiden, ein einsamer Kirchturm umgeben von ein paar Haeuschen, die eine Bucht saeumten. Luederitz, wieder so ein Beweis, dass sich der Mensch wirklich von nichts abschrecken laesst! Das Wasser wird seit eh und je aus ueber 100 km Entfernung geholt, frueher per Pferdewagen oder gar noch verrueckter per Schiff aus Kapstadt. Heute liegt hier eine Pipeline ins Landesinnere zu irgendeinem Tiefbrunnen.

Der Reisefuehrer machte erst gar nicht lange herum „Der Ort gibt touristisch nicht viel her”. Vielleicht waren wir gerade deswegen so seltsam beruehrt von diesem zivilisatorischen Aussenposten im Nichts. Also was wollen die Leute hier? Luederitz ist das administrative Zentrum fuer den Diamantenabbau in der Umgebung. Viele der schwarzen Arbeiter leben hier und werden Tag fuer Tag in die umliegende Schuerfgebiete gefahren. Dann sieht man eine nicht unbedeutende Flotte von Fischtrawlern und eine dazugehoerige Fischfabrik. Und einen Hafen gibt es, sogar mit einem Buero der Maersk Reederei. In dieses Buero werden vermutlich die „Abtruennigen” verbannt, die man nicht einfach aus der Firma schmeissen kann oder will! Und dann gibt es noch ein paar Hotels in Erwartung der Verrueckten, die sich bis hier durchgeschlagen haben, nur um zu sehen, ob es hier tatsaechlich so trostlos ist. Das sind natuerlich, wie koennte es anders sein, ueberwiegend Deutsche - traditionsgemaess gewohnt, vor wirklich nichts zurueckzuschrecken. Und seltsamerweise schon am ersten Nachmittag hatte es der Ort geschafft, uns in seinen Bann zu ziehen.

Wir stiegen im 4 Sterne Hotel „Nest” direkt an der Bucht ab. Auf der Zufahrt glaubt man sich zunaechst falsch, denn es geht vorbei an Ruinen alter Industriegebaeude, dann taucht das Hotel doch auf. Die vier Sterne sind ein bisschen uebertrieben, aber es ist eindeutig das Beste Haus am Platz. Nachdem Katrin mit der verlockenden Nachricht, dass wir drei Naechte bleiben wollten, einen guenstigen Zimmerpreis herausgehandelt hatte, wartete auf dem Zimmer die naechste Ueberraschung auf uns: Deutsches Fernsehen, wenn auch nur RTL und SAT1. Um Katrin war es geschehen. Ich freute mich ungefaehr 12 Sekunden ueber die auf beiden Kanaelen laufende Gerichtsshow und versuchte danach krampfhaft, meine Ohren auf Durchzug zu stellen.

Ja, die Sendungen waren natuerlich totaler Schrott, und auch am Abend wurde es nicht viel besser. Aber ich war so erfreut, dass ich mir einen ganzen Stapel Muell reinzog. Das war das erste deutsche Fernsehen seit Mai! Ich musste sogar ordentlich Werbung gucken, um zu sehen, ob es denn gewaltige neue Produkte anzupreisen gab, aber bis auf eine neue Zahnpasta und irgendein Fertiggericht, das aus der Dose in eine Tuete gewandert war, gab es nichts ueberraschendes. Immerhin konnten wir in den (albern reisserischen) Nachrichten von RTL sozusagen live mitverfolgen, wie der erste Schnee ueber Deutschland hereinbrach. Derweil freuten auch wir uns ueber einen Temperatursturz, denn wir kamen immerhin von den unertraeglichen 35 bis 40 Grad der letzten Tage auf (uns sehr frisch vorkommende) 25 Grad herunter, so dass wir endlich mal wieder etwas freier atmen konnten. Den Pool liessen wir gleich mal weg (zu kalt draussen…). Unser Abendessen assen wir im Fischrestaurant Ritzis, mit Blick auf den Hafen und das Meer, allerdings versank langsam alles im Nebel und wir kamen uns vor wie in einem Edgar Wallace Krimi. Irgendwie total abgefahren.

Was nun tun in dieser seltsamen Welt? Am Donnerstag brachen auf nach Kolmannskuppe, einer Geisterstadt im Sperrgebiet und nur 15 km von Luederitz entfernt. Als hier um 1905 Diamanten entdeckt wurden, die man wirklich nur vom Boden aufsammeln musste, gab es kein Halten mehr. Binnen weniger Jahre wurde hier eine komplette Stadt aus dem Sand und Felsboden gestampft. Alles mit deutscher Gruendlichkeit und Anspruch. Nachdem etwa 1930 in Oranjemund noch ergiebigere und technisch leichter abzubauende Diamantenvorkommen gefunden wurden, zogen die Menschen weiter, und die gesamte Stadt wurde der Natur ueberlassen. Inzwischen tuermen sich Sandduenen zum Teil bis unters Dach der Haeuser, von denen sich trotzdem einige noch in bemerkenswert gutem Zustand befinden.

Da man sich beim Besuch im Diamantensperrgebiet befindet, muss man in Luederitz eine Erlaubnis zum Betreten erwerben. Ausserdem ist das ganze nichts fuer Langschlaefer, denn bereits um 13 Uhr (warum auch immer) schliesst das Gelaende. Ausgangspunkt der gefuehrten Tour durch die Stadt bildet das ehemalige, erstaunlich grosse Kasino. Hier gab es alles, ein eigenes Theater, Kegelbahn, Rauchzimmer, einen Speisesaal und Teile wurden sogar als Turnhalle benutzt. Irgendwie mussten die 1200 Menschen, die hier lebten, ja bei Laune gehalten werden. Die Stadt war aber nicht eine typische Boomtown ohne Law und Order, sondern gehoerte komplett der Minengesellschaft, die streng darauf achtete, wer sich hier herumtrieb.

Die Fuehrung durch die Stadt wurde von einer Deutsch-Namibianerin gemacht, es war nicht nur sehr spannend, die alten Geschichten zu hoeren, vielmehr gab sie uns auch einen guten Einblick in die heutigen Zustaende. Es gibt wohl eine Menge kontraerer Interessen zwischen den alten Besatzern und der heutigen schwarzwen (SWAPO) Regierung, besonders krass wird dies beim Ansatz im Tourismus, denn die staatliche Geschwindigkeit treibt scheinbar alle (weissen) zum Wahnsinn. So wird das superinteressante Kolmannskoppe der Wueste ueberlassen, obwohl doch schon ein paar Dachbefstigungen eine Menge helfen wuerden.

Aber dass dort die Leute so rumkriechen, ist sowieso so eine Sache, denn auf dem Gebiet der Geisterstadt ist selbst Buecken streng verboten. Unsere Fuehrerin beschwor uns augenscheinlich leicht paranoid, dem ja Folge zu leisten, falls wir nicht ins Gefaengnis wollten, „Die sehen alles!”. Trotzdem darf man nach der Fuehrung frei durchs Gelaende stromern, und ich war mal wieder in meinem Element: Haeuser aus den 20er Jahren! Ich musste natuerlich alles ganz genau anschauen und sponn mich in das alte Leben hinein. Hier gab es eine Eisfabrik, die Stangeneis produzierte. Ich dachte dabei natuerlich an Eiscreme, aber es war gefrorenes Wasser gemeint, das fuer die privaten Kuehlschraenke gebraucht wurde. Das war der neueste Schrei dieser Zeit! Es gab eine halbe Stange Eis pro Familie pro Tag und auch genau abgemessenes Frischwasser, das auf Schienen (die Wagen wurden von Maultieren gezogen und bildeten auch eine Art Strassenbahn) herangeschafft wurde.

Es war echt unglaublich, die Stadt hatte alles von Schule ueber Theater bis Clubs, aber eigentlich gab es nur ein paar Haeuser und sonst gar nichts, denn direkt hinter den Haeusern begann die Sandwueste! Da das Wasser knapp war, gab es keine einzige Gruenpflanze! Nur Sonnwe, Sand und Wind. Und trotzdem war das ein ganz gutes Leben dort, denn die Menschen verdienten sehr gut, und viele wurden auch richtig reich. Die wilde Diamantenwgefinderei wurde endgueltig unterbrochen, als man ins oertliche Krankenhaus das erste Roentgengeraet der suedlichen Erdhalbkugel aufbaute. (Gegen Diamantenschlucker!) Und auch der in die kaputten Haeuser hineinwehende Wuestensand gibt dem ganzen eine unglaubliche Atmosphaere. Wir waren jedenfalls froh, dass wir uns auf diesen weiten Weg hierher gemacht hatten.

Damit war die Hauptattraktion allerdings abgehakt. Der normale Reisende wuerde nun wohl weiterziehen, aber wir hatten genug Zeit, um uns noch einen Tag im Kuehlen zu goennen. Am Freitag machten wir eine Rundfahrt um die Landzunge suedlich der Luederitzbucht, wanderten am Strand entlang (zu kalt zum Baden), freuten uns ueber die heranbrausende See, eine kleine Robbenkolonie, ausgetrocknete Salzseen und eine alte Leuchtturmanlage. Am Diaz Point hatte schon 1486 ein Portugiese auf dem Weg nach Suedafrika ein Steinkreuz errichtet. Unser kleiner Golf musste ganz schoen ackern, um auf den teilweise sandigen Pisten nicht steckenzubleiben.

Der Nachmittag wurde dem Internet geopfert. Diesmal nicht dem Schreiben, sondern dem Senden. Waehrend ich mich mehr oder weniger ueber das SAT1 Programm freute (RTL war inzwischen wieder zusammengebrochen), sass Tom mehrere Stunden am Notebook in der Lounge eines kleinen Hotels, bei dem das Internet wenigstens ueberhaupt funktionierte. Immer mal wieder brach alles zusammen, und er konnte wieder von vorne anfangen. Ich bewunderte seine unendliche Geduld und ging zwischendurch mal kurz in ein Casino, welches ich aus dem Auto entdeckt hatte. Das war ein Erlebnis fuer sich, denn ich war dort drin die einzige Weisse. Das war so eine Art Jugendbar mit Geldautomaten (diese schoenen einarmigen Banditen wie in Las Vegas), und da stand ich nun eine kleine Ewigkeit und gewann eine Menge (Klein)geld, das ich am Ende natuerlich verdaddelt hatte. Aber es war ein heisser Ort dort zwischen den Jugendlichen, wie mir die Geldstuecke um die Ohren klimperten…

Samstag, wir verliessen unser inzwischen fast liebgewonnes Luederitz und wussten, dass wir die ertraeglichen Temperaturen wohl bald vermissen wuerden. Zuvor hatte ich nochmals ueber zwei Stunden mit dem Upload von Fotos fuer das Internet verbracht. Was tun wir nicht alles fuer unsere treuen Fans! Die erwartete Hitze traf uns bereits nach den ersten 30 km, aber diesmal ertrugen wir sie mit grosser Gelassenheit. Die Strecke bis Keetmanshoop kannten wir ja nun schon und Katrin behauptete sogar, dass die Strecke in diese Richtung viel interessanter waere. Bei Aus machten wir einen kurzen Stop in einer neu eroeffneten Touristeninfo, deren Hauptaufgabe darin bestand, den Ort aus seinem aermlichen Dornroeschenschlaf zu erwecken. Die Schautafeln mit Informationen ueber die Umgebung und das Leben und die sozialen Verhaeltnisse eines solchen Ortes waren wirklich sehr informativ. Seltsam falsch kommt man sich vor, wenn man liest, dass hier mehr als 50 Prozent der Menschen von umgerechnet 30 bis 100 Euro im Monat leben muessen.

Die Info ist der ganze Stolz des Ortes, und die frischgebackene Managerin, eine junge Frau aus dem Ort, die wahrscheinlich selbst kaum fassen konnte, dass sie nun Managerin war, erzaehlte mir ausfuehrlich von dem Projekt. Das Café ist im Moment noch nicht ganz in Betrieb, da es Wasserprobleme gibt, und die Ortsansaessigen muessten erst noch die Herstellung von Souvenieren erlernen, aber man war voller Hoffnung fuer die Zukunft. Ich hoffe, dass die Plaene auch so funktionieren, schoen, wenn ein ganzer Ort sich so engagiert! Normalerweise ist auf dem Land nicht viel zu holen, durch die Trockenheit ist Viehzucht nur so halbgewalkt moeglich, und 40% der Bevoelkerung z.B. beschaeftigt sich ausschliesslich mit dem Sammeln von Feuerholz und legt dafuer immer weitere Strecken zurueck!

In Keetmanshoop angekommen kuehlten wir uns schnell im Pool ab und machten Pause bis zum spaeten Nachmittag, denn unser naechstes Highlight, der Koecherbaumwald und der Giants Playground sollten laut Reisefuehrer erst im Abendlicht ihre volle Schoenheit entfalten. Dieser Tip erwies sich als goldrichtig. Bis zum Koecherbaumwald sind es von Keetmanshoop ca. 18 km, und die Landschaft veraendert sich zu einer Ansammlung von sehr vielen fesligen Gesteinsbrocken. Der Koecherbaumwald bei Keetmanshoop ist der groesste der Welt. Hier stehen ein paar hundert dieser seltsamen Gewaechse, die biologisch gesehen eigentlich gar kein Baeume sind, sondern Aloen. Vollkommen ungestoert und ohne an einen Pfad gebunden zu sein, kann man zwischen diesen Gewaechsen herumlaufen. Wir hatten nur Sandalen an, und mir war das ganze deswegen nicht ganz so geheuer, denn wer weiss schon, wo hier die Skorpione und Schlangen herumhaengen? Aber mit der Devise „immer schoen laut sein” und Katrin an der Seite ueberlebte ich auch diesen Ausflug, ohne Bekanntschaft mit den namibischen Krabbeltieren zu machen.

Schoen, wenn mal Tom der groessere Schisser ist von uns beiden (wenn ich auch zugebe, dass seine Schiss natuerlich berechtigter war als meine uebliche vor Spinnen…). Ganz am Anfang des Koecherwaldes hatten wir noch eine wunderbare Tierbegegnung: Eine Horde Erdmaennchen stromerte durch die Gegend. Ich kannte diese witzigen Tierchen bisher nur aus dem Fernsehen, sie sehen aus wie kleine Aeffchen, besonders, wenn sie sich kerzengerade auf ihre Hinterbeine stellen, um die Gegend zu erkunden. Sie blieben eine Weile in unserer Naehe, und ich war happy.

Von den Koecherbaeumen fuhren wir noch ein kleines Stueck weiter bis zum sogenannten Spielplatz der Giganten, was sich als ein echter Knaller herausstellte. Wir wanderten im Abendrot durch eine Landschaft aus seltsamen Felsformationen, die aussahen wie Naturmauern, die ohne Moertel aufeinandergeschichtet waren. Irgendwie hat die Erosion hier das weichere Gestein weggewaschen, und nun liegen riesige Felsbrocken wie ueberdimensionale Jengaspiele herum. In dieser trockenen Umgebung huschten ueberall irgendwelche Tierchen herum, von knallbunten Eidechsen ueber Hasen und Klippschiefer, es raschelte staendig. Gott sei Dank war der Weg gut ausgeschildert, ich haette mich auf keinen Fall mehr zum Auto zurueckgefunden. Was fuer ein Geheimtipp, so etwas geniales wuerde in Amerika bestimmt Massen anlocken! Wir wanderten ganz allein durch diese Kulisse und erfreuten uns daran, was fuer schoene Gebilde die Erde erschaffen kann.

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